Wurzelmagie - Die Alraune und andere Zaubermittel aus dem Erdreich
erschienen in "Holunderelfe Tief verwurzelt", 3/2023
Viele alte Bräuche beschreiben die magischen Kräfte von Wurzeln. Spätestens mit Harry Potter wurde die Alraune zur bekanntesten unter ihnen. Vielleicht denkt manche Leserin oder mancher Leser, sie sei so erfunden wie die restliche Geschichte. Es gibt sie wirklich!
Ihre Blattrosette besteht aus dunkelgrünen, runzeligen Blättern, die sie nur für kurze Zeit im Pflanzenjahr aus der Erde streckt. Die hellvioletten kleinen Blüten wachsen aus dieser Rosette und bleiben erdnah. Sobald die kleinen gelben, unangenehm riechenden Früchte reif sind, ziehen sich die Blätter wieder in die Erde zurück. Schon dadurch wirkt die Pflanze sonderbar.
Die Alraune, Mandragora officinarum, gehört wie Bilsenkraut oder Tomaten zur Familie der Nachtschattengewächse. Die Gattung Mandragora kommt aus dem Mittelmeerraum. Ihre Namen sind vielsagend: zum Beispiel „Mardum-giâ“, was auf Persisch Menschenkraut heißt. Oder die hiesige Bezeichnung „Alraune“, zusammengesetzt aus den Wörtern „Alb“, was Mahr oder Faun bedeutet, und „runen“, also heimlich flüstern.
Gedüngt durch Tränen und andere Körperflüssigkeiten der Gehängten wuchs sie früher besonders oft unter Galgen, was zum Namen Galgenmännlein führte. Pythagoras nannte sie wegen ihrer Gestalt Anthropomorphos, die Menschenpflanze. Diese sonderbare Gestalt kleidete man in edle Stoffe, badete sie in rotem Wein und bewahrte sie in gläsernen Kästchen als Glücksbringer auf, der vom Vater an den ältesten Sohn vererbt wurde. Schon im 16. Jahrhundert v. Chr. wurde die Wurzel im ägyptischen Papyrus Ebers, einer Aufzeichnung über Arzneimittel, erwähnt und dort „dja-dja“ genannt.
Auch in unserer klassischen Literatur fand die Alraune angemessen Platz. Mephisto erwähnt sie in Goethes Faust II:
„Da stehen sie umher und staunen, vertrauen nicht dem hohen Fund, der eine faselt von Alraunen, der andre von dem schwarzen Hund.“
Auch Heinrich Heine beschrieb die zwergenhafte Wurzel der Alraune:
„Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,
Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,
Ein fingerlanges Greisengeschlecht,
Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.“
Lange war sie in der Volksheilkunde Narkosemittel und Schmerzstiller, doch sie ist durch Tropanalkaloide hochgiftig und darf nur von kundigen Heilern verwendet werden. In Südeuropa wie auch bei uns war die Alraune als aphrodisierend und potenzfördernd bekannt. Überbrachte man dem Auserwählten diese Wurzel, verliebte er sich in die Überbringerin. Im Arabischen galt sie als bösartig, weil das Erwecken dieser Begierde nicht erwünscht war.
Aufgrund der vielfältigen Wirkung war die Nachfrage hoch und es gab einen regen Handel, oft fälschte man die Alraune durch leichter auffindbare Wurzeln. Im Jahre 1611 verbot Herzog Maximilian von Bayern, die Alraunenwurzel für magische Zwecke zu ernten.
Man erzählte sich, dass der Schrei der Alraune, wenn man sie aus der Erde zieht, tödlich sei. So erfanden die Menschen aus Angst spezielle Erntemethoden wie die folgende: Die oberirdischen Teile der Pflanze werden an den Schwanz eines schwarzen Hundes gebunden, das Herrchen ruft den Hund aus sicherer Entfernung mit zugehaltenen Ohren. Das Tier folgt dem Herrn und reißt dabei die Alraune aus. Ihr möglicherweise tödliche Schrei verklingt auf diese Wiese ungehört.
Auch andere, durchaus bekannte Wurzeln entfalten seit Jahrhunderten zauberhafte Wirkung und sind Bestandteil verschiedenster Rituale. Dabei sind nicht nur die unterirdischen Pflanzenteile selbst, sondern auch die Art, sie zu ernten, für die Wirkkraft des Zaubers von Bedeutung. So gibt es das Ritual, Wurzeln immer mit der linken, weiblichen Hand, die dem Herzen näher ist, zu ernten.
Petersilienwurzel
Im Mittelalter galt die Petersilie als Hexenkraut und aphrodisisch wirkende Pflanze. Ihre Wurzeln wurden in die erotisierend wirkenden Flugsalben der Hexen gemischt und Liebesgetränken hinzugefügt. Der wirksame Inhaltsstoff ist das im ätherischen Öl enthaltene Apiol.
Der Liebesappetitmacher, auch „Stehsalat“ genannt, hatte natürlich Nebenwirkungen: Mit der Anzahl der Liebesnächte wuchs die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. Es hieß „Petersilie hilft dem Mann aufs Pferd, den Frauen unter die Erd.“ Männer wurden durch sie angeregt, Frauen benutzen sie, wenn nötig, als Abtreibungsmittel, was bei Überdosierung zum Tod führen konnte. Damals nannte man die Gassen, in denen Prostituierte ihr Handwerk betrieben, deshalb „Petersiliengassen“ oder „Petersilienmeile“.
Nelkenwurz
Wie andere aromatische Pflanzen galt auch die Nelkenwurz als Zauberkraut mit aphrodisierender Wirkung. Im Volksmund wird sie daher auch „Mannskraftwurzel“ genannt. Wollten Männer die Liebe einer Frau gewinnen, trugen sie die Wurzel um den Hals. Ein anderer Name, „Hasenaug“, weist darauf hin, dass man bei Augenleiden ein Säckchen mit Nelkenwurzeln acht Tage lang um den Hals trug. Anschließend warf man es rückwärts über die Schultern in einen Bach. Umdrehen durfte man sich nicht dabei, denn die Wasserwesen, die das Leiden mitnahmen, wollten nicht gesehen werden.
Der Teufel verlor seine Macht, wenn man die Nelkenwurz-Wurzel im Haus aufhängte. Das „Malefizpulver“ der getrockneten pulverisierte Wurzel, schützt vor dem Bösen und sorgt unter dem Kopfkissen nachts für Sicherheit. Ein magischer Kreis, mit den Blättern der Pflanze gezogen, ist ein starker Schutz gegen negative Energien.
Andere magische Wurzeln
Die sogenannte „Springwurzel“ der Pfingstrose konnte Schlösser öffnen, die zu verborgenen Schätzen führten, wenn man sie um Mitternacht erntete. Die Wurzel in roten Stoff gehüllt oder eine Kette daraus um den Hals getragen half gegen Fieberkrämpfe und nächtliches Aufschrecken.
Engelwurz, Baldrian- und Beifußwurzel sowie Knoblauch sind bekannte Helfer gegen schwarze Magie, zur Austreibung von bösen Geistern oder der Abschreckung von Vampiren.
Zurück zu modernen Zauberern: Harry Potter benötigte Baldrianwurzeln und den Beifuß um den „Trank der lebenden Toten“ zuzubereiten.
Sicher ist an all der Zauberkunst auch ein Fünkchen Wahrheit, doch angemessene Vorsicht und Respekt vor den Inhaltsstoffen sind hier angezeigt. Ganz harmlos kann man heute auch die Magie der Wurzeln beim Räuchern erleben, beispielsweise mit Iriswurzel oder Engelwurz.